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22. Oktober 2020

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22. Oktober 2020

Chaos im Kopf: Konzentration bei Kids

Ob im Schulunterricht oder beim Hausaufgaben machen – schweifen Kinder gedanklich ab, liegt das oft an mangelnder Konzentration. Warum diese sinkt, hat seine Ursache im Gehirn. Das Gute daran: Konzentration lässt sich trainieren und fördern.

Paul ist neun Jahre alt. Er geht in die vierte Klasse der Grundschule, liebt es mit Lego zu spielen oder auf der Konsole “Minecraft” zu daddeln. Hochkonzentriert baut er seine 3D-Welt auf, stundenlang kann er sich darin verlieren. Selbst wenn seine jüngeren Geschwister um ihn herum tänzeln und seine Aufmerksamkeit fordern, verliert er nicht den Fokus.

Auch das ist Paul: Stundenlanges Grübeln vor Mathehausaufgaben. Er schafft es einfach nicht anzufangen. Schweift andauernd ab, versinkt in Tagträumen und interessiert sich viel mehr für das, was um ihn herum passiert. Seine Eltern sind darüber verärgert, schließlich wissen sie, dass Paul sich konzentrieren kann. Das frustriert die Familie.

Der 9-jährige Paul in diesem Text ist ein fiktives Kind. Doch er steht für alle Kinder, denen es schwerfällt, bei langweiligem Schulstoff konzentriert zu bleiben. Das ist vollkommen normal und hat biologische Gründe, die sich jedoch aktiv beeinflussen lassen.

Ablenkungen lauern heute überall

Als Konzentration wird die Fähigkeit bezeichnet, sich über einen längeren Zeitraum auf eine Sache zu fokussieren. Das ist in einer Welt voller Reize nicht leicht und doch unerlässlich für die Schulzeit und berufliche Laufbahn. Sich nicht ablenken zu lassen und den inneren Fokus bewusst zu steuern, ist eine Form der Aufmerksamkeit, die sich auch erst mit der modernen Welt weiterentwickelt hat. 

Damals, als der Mensch noch Jäger oder Sammler war, stand eine absolut gegenteilige Fähigkeit im Vordergrund: Wachsamkeit, auch Vigilanz genannt. Reize durchzulassen und die Umwelt stets im Blick zu haben, konnte über Leben und Tod entscheiden. Früher war es wichtiger, immer auf der Hut zu sein und ad hoc reagieren zu können. Anders als heute.

Gut zu wissen: Heute gelten Kinder mit “klassischen” Aufmerksamkeitsstörungen oftmals als besonders vigilant. Sie nehmen alle Eindrücke wahr, deshalb verlagert sich ihr Fokus schnell.

Alarm, Alarm: Unser inneres Frühwarnsystem

Die Forscher Steven E. Peterson und Michael I. Posner haben in den Neunzigern drei Netzwerke im Gehirn identifiziert, die für unsere Aufmerksamkeit verantwortlich sind und unabhängig voneinander agieren – sich jedoch gegenseitig beeinflussen können. 

Das Alarmierungs-Netzwerk hält die Aufmerksamkeit aufrecht. Heißt: Wir sind in dieser Phase besonders empfänglich für äußere Reize. Es nimmt Eindrücke auf und – droht Gefahr – steigert die Aufmerksamkeit kurzzeitig und stößt Warnsignale aus. Wie gut das funktioniert ist tageszeitabhängig: Frühmorgens und spätabends reagiert das Netzwerk verzögert. Deshalb passieren in diesen Phasen auch vermehrt Verkehrsunfälle. Zudem beeinträchtigt Stress unser inneres Frühwarnsystem.

Stop & Go: Unser innerer Navigator

Geräusche, Berührungen, Gerüche: Damit wir verarbeiten können, was auf unsere Sinne einströmt, braucht es einen Filter, der zunächst alle Einflüsse bewertet. Ist diese Information wichtig? Woher kommen die Geräusche? Muss ich darauf reagieren? Fragen, die unser Orientierungs-Netzwerk instinktiv und unbewusst beantwortet, damit wir reflektorisch reagieren können. Unsere Aufmerksamkeit wird also gezielt auf einen Reiz gelenkt.

Übrigens: Das Alarmierungs- und Orientierungs-Netzwerk sind dafür verantwortlich, dass Kinder mit Prüfungsangst ihren Fokus verlieren. Ihre Aufmerksamkeit richtet sich unbewusst auf körperliche Auswirkungen der Angst, wie Herzrasen oder Schweißausbrüche. 

Prioritäten setzen: Unser innerer Kontrolleur

Das dritte Netzwerk ist die exekutive Kontrolle, welches äußere und innere Eindrücke priorisiert und so die Aufmerksamkeit lenkt und hält. Bei schulischen Leistungen spielt dieses Netzwerk eine große Rolle: es hilft bei Planungen, Entscheidungsfindungen, dabei Fehler zu entdecken sowie in verschiedenen Situationen flexibel zu handeln und zu denken. 

Unser innerer Kontrolleur reagiert, sobald ein Reiz die Bewusstseinsschwelle übersteigt – die Aufmerksamkeit wird dann auf das aktuell “Wichtigste” gelenkt. Dieses Netzwerk entwickelt sich bis zum siebten Lebensjahr – damit Gedanken, Gefühle, das eigene Verhalten besser wahrgenommen und gesteuert werden können – und bleibt bis ins hohe Alter unverändert. Einige Studien weisen jedoch darauf hin, dass die Aufmerksamkeitsleistung der exekutiven Kontrolle, z.B. durch Meditation, trainiert werden kann.

Gut zu wissen: Die exekutive Kontrolle hängt mit Konzentrationsschwächen wie ADHS zusammen: Hirnareale dieses Netzwerks sind bei Kindern mit ADHS z.B. schlechter durchblutet.

Konzentration bei Kids aktiv pushen

Warum Paul sich beim Minecraft spielen viel besser konzentrieren kann, als wenn er über seinen Hausaufgaben hockt, ist ganz einfach: es macht ihm mehr Spaß. Das lenkt seine Aufmerksamkeit automatisch auf die Dinge, mit denen er sich auch beschäftigen möchte. 

Leider wird es in der Schulzeit immer wieder Stoff geben, der Kindern keine Freude macht. Das ist nicht schlimm – Konzentration lässt sich fördern. Entweder durch kreatives und spielerisches Gestalten des Lernstoffs oder durch das simple Einplanen von Pausen. Macht ein Kind beim Lernen mindestens alle 20 Minuten Pause und bewegt sich dabei, sorgt unser Organismus automatisch für einen neuen Konzentrationsschub: die Denkzentren werden runtergefahren, beschleunigtes Atmen erhöht die Sauerstoffzufuhr, regt den Stoffwechsel an und das Gehirn regeneriert sich. Ergo: Ihr Kind kann mit neuer Power weiter und sogar besser lernen.

Gut zu wissen: Konzentration lässt sich mit Konzentrationsübungen für Kinder auch langfristig trainieren. Eine besonders effektive stellen wir in unserem Familienseminar vor.

Von Sarah Grunewald