arrow

20. April 2021

arrow

20. April 2021

Kopfsache: So lernt das Gehirn (am liebsten)

Ob für Englisch, ein Diktat oder die Mathearbeit: Auswendiglernen gehört beim Lernen dazu. Dabei ist genau dieses stumpfe Pauken anstrengend fürs Gehirn und – schlimmer noch – sogar kontraproduktiv. Doch wie lernt unser Gehirn – und unser Kind gehirnfreundlich?

Emma sitzt am Schreibtisch und blickt konzentriert in ihr Englischheft. „Bring, brought, brought“, sagt sie gedanklich immer wieder zu sich. So lange, bis sie die Worte eingeprägt hat. Eine Stunde später hat die Schülerin alle Vokabeln durch und geht spielen. Als sie mit vom Wind zerzausten Haaren nach Hause kommt, möchte ihre Mutter die Vokabeln nochmal abfragen – schließlich steht bald ein Test an.

Schon bei der dritten Vokabel kommt Emma ins Grübeln, sie fällt ihr nicht mehr ein. Ihre Mutter ist verärgert: „Hast du nicht genug gelernt?“. Emma protestiert, natürlich hat sie gelernt. Das Problem: Mit stumpfem Auswendiglernen arbeitet sie gegen die natürliche Funktionsweise ihres Gehirns. Denn das hat ganz eigene Lern-Bedürfnisse, die oft nicht berücksichtigt werden.

Wie lernen wir eigentlich?

Je mehr Sinne wir beim Lernen einsetzen, desto besser.

Betrachten wir zunächst einmal, wie das menschliche Gehirn Informationen, wie die Vokabeln von Emma, überhaupt aufnimmt und verarbeitet: Äußere Reize (Vokabeln) aktivieren über unsere Sinne die Synapsen im Gehirn. Über diese wird dann jede Information weitergetragen – von Nervenzelle zu Nervenzelle. Je mehr Nervenzellen und Synapsen aktiviert werden, desto tiefer verankert sich die Information im Gehirn. Das bedeutet, je mehr Sinne wir beim Lernen einsetzen, desto mehr Verbindungen entstehen im Gehirn, und desto besser können wir uns das Gelernte merken. Das nennt man mehrkanaliges Lernen.

Wenn Kinder beim Pauken mehrere Bereiche des Gehirns aktivieren – also Bereiche, die fürs Lesen, Sprechen, Hören und Schreiben verantwortlich sind – wird der Lernstoff besser abgespeichert. Hören wir Informationen nur, können wir diese nicht so gut einprägen, als wenn wir diese zusätzlich gelesen, aufgeschrieben oder aufgesagt haben. Verknüpfen wir Lerninhalte noch mit Geschichten, Bildern und Emotionen, wirkt das nachhaltig. Denn lernen Kinder interessiert, also suchen sie aktiv und selbstständig nach einer Lösung, sorgt das für ein langfristiges Aha-Erlebnis im Gehirn.

Wie Kinder & Jugendliche lernen.

Ob Harry Potter Zaubersprüche oder Pferderassen: Andere Sachen können sich Kinder viel besser merken. Wieso nur?

Alle Eltern kennen das: Während Vokabellernen ein einziger Krampf sein kann, klappt das Lernen bei außerschulischen Interessen reibungslos. Interessiert sich ein Kind für Pferde, saugt es jegliches Wissen dazu in sich auf. Und zwar mehrkanalig. Das passiert automatisch, sobald sich ein Kind für ein Thema interessiert und intuitiv Lernstrategien einsetzt, um sich alles merken zu können. Dann sagt das Kind aus dem Effeff die verschiedenen Rassen auf, welche Besonderheiten es bei Pferden gibt und so weiter. Kleinere Kinder lernen nämlich noch im Entdeckermodus und setzen sich intensiv mit den Inhalten auseinander – in Büchern, Kassetten oder über Filme und Gespräche. Auch in der eigenen Fantasie, wobei innere Bilder generiert und weiter verankert werden.

Bei älteren Kindern oder Jugendlichen sieht das anders aus. Durch den Leistungsdruck und das schulische Lernen, was oft das stumpfe Pauken beinhaltet, tritt der Entdeckermodus und das Einsetzen von intuitiven, aktiven Lernstrategien in den Hintergrund. Ziel ist dann meist nur noch, sich alles Wissen in den Kopf zu kloppen und zu hoffen, dass so viel wie möglich bis zum nächsten Test hängenbleibt. Dabei gibt es viele Möglichkeiten – und noch mehr aktive Lernübungen –, die Kinder leichter und sogar mit Freude lernen lassen.

Wie wir gehirnfreundlich lernen.

Um nachhaltig und leichter lernen zu können, müssen wir uns die Lern-Vorlieben unseres Gehirns zunutze machen. Dazu gestalten wir jeden Lernstoff so um, wie das Gehirn es mag: bunt, vielseitig, strukturiert und spannend muss es sein. Das stumpfe Auswendiglernen kann also zum einen durch das Anfertigen von Mind-Maps oder bunten Plakaten ersetzt werden, bei denen das Wissen gegliedert und durch unterschiedliche Farben strukturiert wird – und zwar mehrkanalig über Sehen, Schreiben, Lesen. Auch „Merkgeschichten“ zu spinnen, die die Informationen in eine Story einbetten und mit Emotionen und Assoziationen verknüpfen, unterstützen das Gedächtnis.

Zum anderen helfen Lernübungen, jeglichen Lernstoff fachunabhängig so aufzubereiten, wie das Gehirn es braucht. Dank solcher Methoden erarbeiten sich Schulkinder die Aufgaben selbstständiger und suchen wieder aktiv nach einer Lösung. Das hat viele positive Effekte auf den Lernalltag des Kindes: Es lernt selbstwirksam, vertraut stärker in die eigenen Fähigkeiten, lernt gelassener und motivierter. Schon vor vielen Jahren hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) deshalb das „Lernen lernen“ – so lernen, wie das Gehirn es braucht – zu einer der wichtigsten Zukunftskompetenzen erklärt.

Extra-Tipp: Emma hätte sich die Vokabeln viel besser merken können, wenn sie diese auch spielerisch lernt. Zum Beispiel, indem ihre Mutter auf jede Treppenstufe im Haus eine Karteikarte legt und Emma sich bei jedem Treppengang selbst abfragt – Stufe für Stufe.

Von Sarah Grunewald